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Die Morde im April 1945

Kurz vor Kriegsende wurde das Lager II Aschendorfermoor zum Schauplatz eines brutalen Massenmordes, dessen Dynamik sich aus dem Ineinandergreifen letzter Entgrenzungen im “Zusammenbruch”, der Brutalisierung des Lagersystems und der Täter sowie der Exzesse verrohter und traumatisierter Gewaltakteure entwickelte. Ein Trupp von versprengten Soldaten, angeführt von einem selbsternannten “Hauptmann” übernahm im Lager faktisch die Kontrolle und entfesselte eine eskalierende Gewaltspirale.

Willi Herolds Verbrechen wurden bereits mehrfach verfilmt. Zuletzt bot der Kinofilm "Der Hauptmann" eine Neufassung der Geschichte, älter ist bereits der Dokumentarfilm "Der Hauptmann von Muffrika" von Paul Meyer und Rudolf Kersting.

Auszug aus den Akten zum Strafverfahren gegen Wachpersonal und Gefangene der Emslandstraflager wegen Körperverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Prozess gegen Willi Herold, geb. 1925, gest. 1946 [NLA OL Rep. 946 Best. 140-5 Nr. 1253, 1946].

Die Exhumierung der Opfer 1946 [NLA OS Slg. 50 Akz. 48/1988 Nr. 232, Februar 1946.]

Nachdem die Zentralverwaltung der Lager im Frühjahr 1945 angeordnet hatte, den Großteil der in den Emslandlagern verbliebenen Gefangenen in das Lager Aschendorfermoor zu „evakuieren“, da man das Eintreffen der Alliierten von der Westfront her fürchtete, waren dort seit dem 10. April 1945 zwischen 2.500 und 3.000 Gefangene interniert. Das Lager war damit vollkommen überbelegt, während die Machtstrukturen des NS-Staats zusehends zerfielen.

Während den “Evakuierungen” aus den übrigen Lagern war einer Anzahl Gefangener die Flucht gelungen, von denen aber einige wieder durch das Wachpersonal ergriffen wurden [vgl. DIZ sowie Wiese, D. (2005), o.A.]. Die Lage schien außer Kontrolle zu geraten und die Nationalsozialisten sannen auf harte Bestrafungen für die Flüchtigen.  

Am 11. April 1945 tauchte der 19-jährige „Hauptmann“ Willi Herold im Lager II Aschendorfermoor auf und übernahm mit einem Trupp von Soldaten, die er in den Tagen zuvor um sich gesammelt hatte, kurzerhand das Kommando über das Lager, indem er mit einer gestohlenen Uniform vorgab, Offizier zu sein und glaubhaft machte, er sei befugt, die Kontrolle zu übernehmen. Er ließ sich die wieder ergriffenen Gefangenen vor der Arrestbaracke zeigen und führte kurze Verhöre durch. Anschließend befahl er, einige Gefangene einzeln hinter der Baracke zu erschießen. Der Lagerleiter unterbrach die Aktion und forderte Herold auf, erst auf höhere Order für diese Erschießungen zu warten. Herold brach daraufhin die Morde zunächst ab.

Nach verschiedenen Rücksprachen drangen offenbar vor allem die Gauleitung in Oldenburg und die Geheime Staatspolizei auf die Aburteilung der Gefangenen durch ein Standgericht [vgl. Meyer (2017), S. 241].

Am folgenden Tag, dem 12. April 1945, erschossen Herold und seine Männer - unterstützt von Teilen der Wachmannschaft und des Volkssturms - schätzungsweise 98 Gefangene nach völlig willkürlich durchgeführten "Standgerichtsverfahren". Am Hinrichtungsplatz, der außerhalb der Drahtumwehrung des Lagers lag, hatten Gefangene zuvor eine Grube ausheben müssen. 

Herold blieb noch bis zum 19. April 1945 im Lager. Er und seine Mittäter erschossen in diesen Tagen immer wieder weitere geflohene und wieder ergriffene Gefangene. Zwischen dem 11. und 19. April waren sie für die Morde an mindestens 150 Gefangenen verantwortlich [vgl. Bührmann-Peters, 2012, S.29f]. Erst nach einem alliierten Luftangriff auf das Lager am 19. April und dem unmittelbaren Heranrücken von britisch-polnischen Truppen verließen Herold, der später als „Henker vom Emsland“ zu einer Symbolfigur von Brutalisierung und Verrohung von Menschen des Vernichtungskrieges und der NS-Gesellschaft werden sollte, mit seinen Männern das mittlerweile völlig zerstörte Lager.  

Kurz nach Ende des Krieges wurde er von Alliierten festgenommen und gemeinsam mit fünf Mitangeklagten zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet.

Die Zahl der Todesopfer im Lager II umfasste jedoch nicht nur die Opfer des von Willi Herold initiierten Massakers. Etwa 50 weitere Häftlinge kamen im April 1945 ums Leben, als alliierte Truppen das Lager in einem Artillerieangriff bombardierten, wobei auch die Gebäude des Lagers weitgehend niederbrannten. 

Die zunächst in verschiedenen Massengräbern auf dem Gelände bestatteten Toten wurden nach Kriegsende auf der Kriegsgräberstätte Aschendorfermoor bestattet, welche landläufig auch als “Herold-Friedhof” bezeichnet wird. Er liegt am Rande des ehemaligen Lagergeländes [vgl. DIZ]. Die Umbettung der meisten Leichname fand vermutlich am 1. Februar 1946 statt, als eine britische Untersuchungskommission aus Oldenburg die Erschossenen exhumieren und neu bestatten ließ [vgl. Pantcheff, 1987, S. 102f.].

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